Brief von einem Nachfahren


veröffentlicht am 7.3.2020

Ronald Lazarus, der Ururenkel von Rosa und Rudolf Hirschmann, schrieb aus Durban, Südafrika, folgende Grußbotschaft:

Ich bedauere sehr, dass ich nicht persönlich bei der Setzung der Stolpersteine anwesend sein kann, die vor dem Haus meiner Vorfahren stattfindet. Deren Leben wurde ausgeblasen, wie das Licht einer Kerze, durch das barbarische Naziregime.

Hätte es diesen Zeitabschnitt deutscher Niederträchtigkeit vor 80 Jahren nicht gegeben, wäre auch ich möglicherweise ein loyaler Bürger des modernen Deutschlands geworden. Wer bin ich und was ist meine Verbindung zu den deutschen Patrioten Rosa und Richard Hirschmann, die durch staatlich veranlassten Mord ums Leben kamen?

Rudolf war einer von 8 Kindern von Leopold und Mathilde Gerstle-Hirschmann. Ein Kind war Minna Hirschmann, die 1868 in Augsburg auf die Welt kam. Sie heiratete Siegmund Lazarus aus Mainz. Sie hatten zwei Kinder, Eugen Lazarus , mein Großvater und dessen Schwester Paula. Eugen hatte zwei Kinder, meinen in Israel lebenden Vater Bernhard und seinen Bruder Gunter Wolfgang . Bernhard hatte 4 Kinder, ich bin der älteste von ihnen.

So bin ich mit Rosa und Rudolf Hirschmann vierten Grades verwandt. Trotz der Tatsache, dass mein Großvater Eugen ebenfalls ein deutscher Patriot war, der in der kaiserlichen Armee im I. Weltkrieg gegen Belgien und Frankreich kämpfte und hierfür eine Tapferkeitsmedaille erhielt (zu sehen im Holocaust Museum in Durban, Südafrika), verlor Eugen mit dem Erstarken des Faschismus seine positive Grundeinstellung.

1936 konnte Eugen nach Südafrika emigrieren. Seinen Eltern Siegmund und Minna Hirschman-Lazarus blieb dies verwehrt. Erst als ihr Sohn Sigmund nachweisen konnte, dass er seine Eltern finanziell zu unterstützen imstande war, erhielten auch sie die Einreisepapiere, 6 Monate vor dem Ausbruch des II. Weltkrieges. Nicht auszudenken, was mit ihnen ansonsten geschehen wäre … Ich hätte diese Zeilen nicht schreiben können.

Was ist meine Botschaft an die Deutschen? Sie ist sehr einfach. Erziehung, die vor den Gefahren des Faschismus, Nationalismus und Antisemitismus warnt. Eine solche ist fundamental. Schon 8 Jahrzehnte nach der Katastrophe des Nazismus beobachten wir die Ausbreitung nationalistischer Engstirnigkeit und fremdenfeindlichen Gedankenguts in den Köpfen einer beträchtlichen Minderheit.

Wir erleben die Morde von Halle und Angriffe auf die Synagoge von Berlin. Wie kann es sein, dass die Greueltaten der NS-Schreckensherrschaft so schnell in Vergessenheit geraten sind? Wie kann es sein, dass die Botschaft des „NIE WIEDER“ nicht mehr allgemeinverbindliches Gedankengut ist? Es muss die überragende Botschaft jeder Generation bleiben, dass alle Menschen gleich sind und Antisemitismus, Diskriminierung nach Rasse, Geschlecht oder sexueller Orientierung niemals hingenommen werden darf.

Bei meinem baldigen Besuch in Augsburg möchte ich gerne mehr über die Heimat meiner Vorfahren erfahren, um ein besseres Verständnis der deutschen Sozialstruktur zu bekommen. Ich möchte mich selbst davon überzeugen, dass sich die entsetzlichen Verbrechen der Nazizeit nie wiederholen werden.

Ronald Lazarus
Durban, Südafrika