Wertingen bekommt den ersten Stolperstein


Auf Initiative einer Angehörigen bekam der Ortsteil Gottmannshofen am 26. Mai 2023 einen Stolperstein. Es ist der erste in Wertingen und zugleich der erste im Landkreis Dillingen-Donau. Der Künstler Gunter Demnig hate die Verlegung persönlich vorgenommen.

Den nachfolgenden Text samt Grafik veröffentlichen wir mit Erlaubnis der Autorin und Zeichnerin:

„Das Leben von Andreas Kratzer“

Am 17. Januar 1921 wurde Andreas Kratzer in Gottmannshofen, einem Ortsteil von Wertingen in Nordschwaben geboren. Im Dorf war er der „Anderl“.

Sein Vater litt an einer Kriegsverletzung aus dem Ersten Weltkrieg. In der Familie gab es viele Kinder.  Als Andreas 5 Jahre alt war, wurde er bei einem Unfall schwer verletzt.

Ein Arzt verfasste 1930 einen medizinischen Bericht, in dem er bescheinigte, dass Anderl nicht mehr länger in der Familie leben könne. Im Bericht befindet sich keine Diagnose, die diesen Zustand beschreiben und diese Sicht belegen könnte.

Mit 9 Jahren wurde Andreas in die Heilpflegeanstalt Schweinspoint eingewiesen. Der Ort lag abgelegen und ohne Bus- oder Bahnverbindung. Andreas war eines der wenigen Kindern in dieser Anstalt, die anderen Bewohner waren ausschließlich erwachsene Männer.

Betrieben wurde die „Anstalt für unheilbar Kranke“ in Schweinspoint vom katholischen Orden der Barmherzigen Brüder. Die Bewohner der Einrichtung schliefen zusammen in Mehrbettzimmern. Tagsüber arbeiteten sie unter anderem in der Landwirtschaft.

Leider gibt es aus dieser Zeit weder ein Foto von Andreas, noch Briefe von Angehörigen.

Vermutlich wurde er, wie viele Bewohnerinnen und Bewohner von Heilanstalten zwangssterilisiert.

Am 13. November 1940 wurde der 19jährige Andreas mit anderen Bewohnern von einem der berüchtigten „Grauen Busse“ abgeholt und in die Heilpflegeanstalt Günzburg verlegt. Dies belegt ein medizinischer Bericht ohne Diagnose aus Günzburg.

Am 22. November 1940 wurde er mit einem weiteren Bus in das Schloss Hartheim bei Linz gebracht und mit Kohlenmonoxyd ermordet.

Er hat kein Grab.

Andreas Kratzer war ein Opfer der Aktion T4. Das Kürzel steht für Tiergartenstraße 4, der Zentraldienststelle in Berlin. Bis Ende 1941 fielen der Aktion T4 70.000 Menschen zum Opfer.

In Wertingen gerieten Andreas Kratzer und seine Geschichte beinahe in Vergessenheit. Seine beiden jüngeren Schwestern Maria und Anna erinnerten sich. Die Tochter von Anna initiierte den Stolperstein. Heute lebt sie mit ihrer Familie in Berlin.